POP
Späte Arbeitswut
C D s
| NEUES
AUS
DER
MUSIKWELT
Leonard Cohen
Der Schnellste ist er nie gewesen. Da
sprechen
13
Alben in
57
Jahren eine
deutliche Sprache. Genau wie lange
Schaffenspausen, in denen er sich der
Meditation und dem Kampf gegen sei-
ne Depressionen gewidmet hat. Doch
jetzt, mit
80
, ist Leonard Cohen so aktiv
wie selten zuvor: „Popular Problems“
ist sein zweites Werk innerhalb von
30
Monaten und besitzt die Klasse eines
guten Rotweins. STEREO hat ihn zum
Exklusivinterview in London getroffen
STEREO:
H e rr C ohen, ein neues A lb u m
p ü n ktlich zum 80. Geburtstag, das riecht nach
perfektem M a rk e tin g .
..
Leonard Cohen
(winkt ab): D a muss ich
Sie enttäuschen: Es ist purer Zufall, dass es
rechtzeitig zu diesem Anlass fertig geworden
ist. Also ich für m einen Teil hätte nie damit
gerechnet. Und für m ich stehen die beiden
Dinge auch in keinerlei Zusam menhang.
STEREO:
W obei „P o p u la r P ro b le m s“ so
schnell entstanden ist, dass m an sich fra g t,
ob Sie a u f Ih re späten Jahre von einer re-
gelrechten A rb e its w u t befallen sind oder ob
Ih n e n das S on g w ritin g leichter
f ä llt als in der
Vergangenheit?
Cohen:
Ich wünschte, ich könnte das m it
einem „ja“ beantworten. Aber das ist leider
nicht der Fall. Ich meine, natürlich versuche
ich so viel wie möglich in die Wege zu leiten.
Einfach weil ich weiß, dass m ir nicht m ehr
viel Zeit bleibt. Aber letztlich verdanke ich
dieses Album einzig und allein Pat Leonard,
m it dem zu arbeiten sehr angenehm und
sehr, sehr erfolgreich war.
STEREO:
W ie ist der K o n ta k t zustande ge-
kom m en?
Ich habe ihn eher zufällig getroffen. Seine
Produktionen für die Größen des M usik-
geschäfts habe ich zwar schon im m er be-
w undert, was m ich aber letztlich zu dieser
Zusammenarbeit bewegt hat, war ein Album
m it improvisierter Klaviermusik, das quasi
sein gesamtes Talent aufgezeigt hat. Inso-
fern haben wir uns gemeinsam an ein paar
Stücken versucht, die so schnell zustande
kam en, dass ich es kaum glauben konnte.
Es war ein geradezu mysteriöser Prozess, zu
dem Pat die M usik beigesteuert hat und ich
die Texte. M ehr kann ich dazu kaum sagen,
weil wir beide wie im Rausch waren. Und
weil m an so etwas nicht hinterfragen sollte.
Nur so viel: Ich bin damit sehr glücklich, und
wir arbeiten bereits am nächsten, das schon
halb fertig ist.
STEREO:
M ein e n Sie das ernst?
Cohen:
Oh ja, es wird „Unpopular Solutions“
heißen .
.. (lacht laut) Das war ein Scherz.
Verzeihen Sie bitte.
STEREO:
E in H um or, den m an von Ihnen
n ic h t u n b e d in g t e rw a rte t, w e il Sie sich in
Ih re n Texten sehr ernsten u nd düsteren The-
m en w id m e n .
Cohen:
Das ist korrekt. Ich tendiere zu einer
melancholischen und oft auch verzweifelten
Stimmung. Das ist etwas, wofür ich nichts
kann - es liegt m ir einfach.
STEREO:
U nd die Sie m it Blues, Gospel und
C o u n try transportieren. Genres, in denen Sie
sich am wohlsten fü h le n ?
Cohen:
Das ist halt m eine Musik. Und ich
habe nicht vor, das Rad neu zu erfinden. Das
habe ich noch nie getan. Von daher bediene
ich m ich bei dem, was verfügbar ist, und
versuche dam it klarzukom m en. Was das
betrifft, ist die Palette von Pat zum Glück
extrem vielseitig. M ehr noch: Er schafft es,
diesen alten Formaten durchaus etwas Neues
abzugewinnen.
STEREO:
W obei ein Song w ie „ A S treet“
einerseits die Folgen von 9/11, aber auch
das Ende einer Beziehung behandelt. W arum
verbinden Sie das m iteinander?
Cohen:
Eigentlich ist es so, dass ich beim
Schreiben gar keine Intentionen verfolge.
Aber natürlich tauchen da eigene Probleme
und Sorgen auf. Das lässt sich nicht verm ei-
den. Genau wie Gedanken über die Welt, in
der wir leben. Aber: Das ist nichts Bewusstes.
Es geht eher einher m it der jeweiligen Atmo-
sphäre eines Stücks.
STEREO:
W ürden Sie „P o p u la r P roblem s“
dem nach als politisches A lb u m bezeichnen?
Cohen
(lacht): Ich versuche seit Jahren eine
politische Position einzunehm en, die nie-
m and so wirklich entschlüsseln kann. Nur:
Ich habe keine Lösungen. Weder für mein
eigenes Leben, noch für die Welt.
STEREO:
Gehen Sie m it diesen Songs a u f
Tour oder w arten Sie bis z u r Fertigstellung
des nächsten A lbum s?
Cohen:
Ich w ürde wahnsinnig gerne noch
einmal touren. Einfach, weil ich den Lifestyle
mag - er ist viel spannender als eine nor-
male bürgerliche Existenz. Im G runde fühlt
m an sich dabei, als ob m an Mitglied einer
M otorrad-Gang oder etwas in der A rt wäre.
Gleichzeitig kostet es aber auch eine Menge
Kraft. D enn ich gebe lange Konzerte, also
zwischen drei und vier Stunden. Von daher
hängt es davon ab, wie fit ich bin. Also ob
ich das körperlich hinkriege. Es würde mich
allerdings sehr ärgern, wenn nicht. Denn im
Grunde sind Singen und Geschirr spülen die
einzigen Dinge, die ich wirklich beherrsche.
Interview: M arcel Anders
Rezension: siehe rechte Seite
132 STEREO 12/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend | ★ ★ ★ ★ sehr gut | ★ ★ ★ solide | ★ ★ problem atisch | ★ schlecht
FO TO : D O M IN IQ U E IS S E R M A N N